Güterwagen-Drehgestelle: Vorläufer

Version 2.03.99.1, Stand: 16. November 2017

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Vorläufer Hauptseite -   Bogenfedern (Leipzig-Dresdner Eisenbahn, 1843) - Belgien, 1844 - Württemberg ( Güterwagen), 1845

Historische Rahmendaten:

1804   Trevithicks Lokomotive zieht 10 Tonnen Eisen, fünf Waggons und 70 Männer über eine Distanz von 15,7 km.

1822   Beginn des Bau der Stockton and Darlington Railway (Spurweite 1435 mm, Streckenlänge 26 Meilen, Betriebsaufnahme 1824, 1825 Jungfernfahrt von Stephensons Lokomotive Locomotion No 1).

1827   Inbetriebnahme der Pferdebahn Saint-Étienne–Andrézieux (erste kontinentaleuropäische Pferdebahn);

1828   Beginn des Baus der ersten Strecke der Baltimore and Ohio Railroad (erste "öffentliche" Eisenbahn in Amerika).

1829   - Inbetriebnahme der schmalspurigen Pferdebahn zum Kohlentransport aus dem Schlebuscher Revier zur Harkort’schen Fabrik (Schlebusch - Harkorter Kohlenbahn, erste deutsche Eisenbahn, Streckenlänge ca. 8 km)
            - Lokomotiv-Rennen Rainhill.

1830   Eröffnung der Liverpool and Manchester Railway (Streckenlänge ca. 56 km).

1832   Inbetriebnahme der letzten Teilstrecke der Budweis - Linzer Pferdeeisenbahn (Spurweite 1106 mm, Länge ca. 130 km)

1834   Eröffnung der Ludwigseisenbahn (Nürnberg - Fürth, Streckenlänge ca. 6 km) - erste mit Lokomotiven betriebene Eisenbahn in Deutschland

1835   Eröffnung der Strecke Mechelen - Brüssel - erste belgische Eisenbahn

1837   - Inbetriebnahme des ersten Teilstrecke der Leipzig - Dresdener Eisenbahn (LDE) und Gründung der Wagenbauanstalt [1, S. 125]
            - Beginn des Baus der Stammstrecke der Kaiser Ferdinands-Nordbahn (K.F.N.B.).

1838   Inbetriebnahme der ersten Teilstrecke der Herzoglich Braunschweigischen Staatseisenbahn (Strecke Braunschweig - Wolfenbüttel, erste deutsche Staatsbahn)

1839   Inbetriebnahme des ersten Teilstrecke der Rheinischen Eisenbahn (Cöln - Müngersdorf), bis 1841 Fertigstellung der Strecke bis Aachen, ab 1843 bis Herbesthal/Belgien - erste internationale deutsche Bahn

1842   Inbetriebnahme der ersten Teilstrecke der österreichischen Südbahn (Strecke Wien - Gloggnitz)

1845   Inbetriebnahme der ersten Teilstrecke der württembergischen Zentralbahn (Cannstatt - Untertürkheim, K. W. St. E.)



Von der Lore zu den ersten Drehgestellen - Entwicklungsstufen
Ebenso wenig wie die Eisenbahn an sich sind Drehgestelle das Ergebnis eines einmaligen, genialen Erfindungsaktes. Auf das neue System Eisenbahn waren Konzepte, die sich bei konventionellen Fahrzeugen bewährt hatten (z. B. lose Räder mit Nabenlagerung bei Kutschen, Fuhrwerke), meist nicht ohne weiteres übertragbar. In einem vielschichtigen und oft nicht geradlinigen Prozess wurden zahllose Ideen erdacht, patentiert, erprobt, verworfen, wieder aufgegriffen, verbessert und von überlegeneren Ansätzen abgelöst. Es versteht sich von selbst, dass dieser Prozess hier nicht umfassend dargestellt werden kann, zumal es nicht wirklich wesentlich ist, wer zum ersten Mal ein Paar zweiachsiger Loren oder Materialwagen zum miteinander verbunden hat , um Bäume oder Balken zu transportieren oder wo das geschehen ist. Hier soll und kann lediglich versucht werden, einige Stationen der Entwicklung der ersten Drehgestelle aufzuzeigen. Dabei muss in Kauf genommen werden, dass diese Darstellung sehr oberflächlich, lückenhaft ist und immer wieder Fragen offen bleiben.

Die Budweis - Linzer Pferdeeisenbahn war eine der ersten kontinentaleuropäischen Bahnen. Die topographischen Gegebenheiten (enge Radien, starke Steigungen) erforderten schnell eisenbahnspezifische Lösungen, wie beispielsweise die Anlenkung der Achsen durch Kreuzanker bei den kutschenartigen Personenwagen. Dieses Konzept funktioniert jedoch nur bei relativ kurzen Achsständen und lässt sich nicht auf Langholz-Fuhrwerke übertragen. Für solche Transporte griff man - wie wohl auch bei anderen Bergwerks- oder Kohlenbahnen - auf Loren zurück.


Langholz-Lorengespann auf der Budweis - Linzer Pferdeeisenbahn; Ausschnitt aus „Bilder von der ersten österreichischen Eisenbahn, nach Aquarell-Skizzen des Ober-Officials Fr. Hölzlhuber", Quelle: Wikipedia


Auch wenn die Authentizität der Darstellung fraglich ist, erkennt man, dass die Loren auch einzeln verwendet werden konnten und nur bei Bedarf als eine Transporteinheit genutzt wurden. Die Achsen sind noch - wie bei konventionellen Kutschen - innen gelagert,
doch es gibt keine Deichsel mehr. Nicht erkennbar ist, ob die Räder sich noch frei auf der Nabe drehen können, oder bereits fest mit den Achsen verbunden sind.
Vor allem aber ist festzuhalten, dass diesem Loren-Gespann das wesentliche Element eines Drehgestellwagens fehlt: die Untergliederung des Fahrzeugs in Lauf- und Ladegestell: die Loren haben weder einen Drehschemel noch einen - Lauf - und Untergestell trennenden Drehzapfen/-vorrichtung.

1830 nutzten Arbeiter der Baltimore and Ohio Railroad kurze zweiachsige Wagen, um Balken für Brücken an die Baustelle zu bringen und im folgenden Winter verband man diese Wagen mit einer Ladebrücke, um Brennholz in die Stadt zu schaffen [2, S. 166].


Baltimore and Ohio Railroad(B & O), links: zweiachsiger Niederbordwagen ("Gondola"); rechts: Pärchen dieser Wagen, abgebordet und durch Ladebrücke für Brennholz verbunden ; Quellen: [2, S. 160, S. 166]


Bei diesen zweiachsigen Wagen sind die Achsen ohne Federn und Achshalter außengelagert. Wie die Achslager mit den Rahmen verbunden waren, ist nicht eindeutig erkennbar, eine zuverlässige Achsführung war auf diese Weise nicht gewährleistet.
Die Achslager sind eine Erfindung von Ross Winans Mit sehr ähnlichen ungefederten "bearing carriages" ausgerüstet war der 1831 von der B & O gebaute Versuchs-Personenwagen "Columbus" [3, S. 11 f).

Am 1. Oktober 1834 erhielt Winans ein später umstrittenes Patent auf eine "verbesserte Konstruktion von Eisenbahnwagen". Diese Verbesserung betraf achträdige Wagenkonstruktionen mit "bearing Carriages" mit gusseisernen Querträger mit Drehzapfen oder -pfannen (s. Abbildung unten, Fig. 1). Auch diese "bearing carriages" (hier ist - wohl gemerkt - noch nicht von "trucks" oder "bogies" die Rede) haben noch keine Achshalter, sind aber immerhin bereits gefedert.

1835 wurde die Washingtoner Zweiglinie der B & O eröffnet, die dafür 10 "moderne" vierachsige Personenwagen, von denen ein Teil mit sehr ähnlichen "bearing carriages", mit Sekundärfeder und seitlichen Stützrollen, ausgerüstet waren
(s. Abbildung unten, Fig. 4 bis 6).


Baltimore and Ohio Railroad (B & O), oben, Fig. 1 - 3: vierachsiger Boxcar (Winans' Patentwagen) mit verbesserten Querträgern und einfach gefederten "bearing carriages"; unten, Fig 4 - 6: Bearing carriages mit Primär- und Sekundärfederung sowie seitlichen Stützrollen für Personenwagen; Quellen: oben [2, S. 167], unten [3, S. 59].

In den 1830er und 1840er Jahren studierten zahlreiche europäische Ingenieure die amerikanischen Eisenbahnen. So besuchten 1838 Franz Anton von Gerstner (1796 - 1840) zusammen mit Ludwig von Klein (1813 - 1881) und 1842 Carl Ritter von Ghega (1802 - 1860) die Baltimore and Ohio Railroad und kamen dort in Kontakt mit Ross Winans (1796 - 1877, [2, S. 158]), einem genialen und geschäftstüchtigen Mechaniker, der immer wieder für die Baltimore and Ohio Railroad gearbeitet hat.

Carl von Ghega veröffentlichte 1844 die Zeichnung eines Personenwagens der B & O, der mit anderen Drehgestellen ausgestattet war:



Baltimore and Ohio Railroad (B & O), Achträdriger Personenwagen mit einfach gefederten Drehgestellen, um 1840, Quelle/Ausschnitte: aus Ghega [5, Tafel 18]

Ghega berichtet, dass die B & O im Jahr 1842 über 18 achträdrige Personen-Wagen und 183 achträdrige Fracht-Wagen verfügte und schreibt über die oben dargestellten Drehgestelle: " ... die beweglichen Untergestelle haben keinen besonderen Rahmen, wie es gewöhnlich der Fall ist, sondern es wird der parallele Gang der Achsen bloß durch eine Verbindung ihrer Lager mittels der Stange de bewerkstelligt. Auf jedes Lager d und e stützt sich das Ende einer großen Tragfeder dergestalt, dass es frei gleiten kann und in einem Schuhe, den der obere Teil des Lagers aufnimmt, seine horizontale Leitung hat. Das Band einer jeden Feder f ist mit einem Träger verbunden, welche das Ende des Querbaumes ff Fig. 4 aufnimmt, der in drei Stützpunkten, nämlich im Zentrum C und in zwei gewölbten Trägern a und b die halbe Last des Wagens trägt. Die halbrund gewölbten Träger a und b können sich nach den Krümmungen der Bahn um das Zentrum C hin und her bewegen, welches Letztere, durch Zapfen und eine Scheibe die Verbindung mit dem Wagenkasten bildet.
Die Wagen sind mit zwei Bremsen versehen; jedes Untergestell hat nämlich eine Bremse für sich, sie besteht in einer Hebelverbindung
abg, Fig. 1, welche an der Plattform angebracht und mit einer Querstange, an deren Enden die Bremsen c befestigt sind, verbunden ist. ..." [4, S. 192 f, Rechtschreibung angepasst, offensichtlich Unstimmigkeit korrigiert - Anm. d. Red.]

Mit ähnlichen Drehgestellen ausgerüstet war einer der bereits 1835 für die Washingtoner Linie gebauten Personenwagen ebenso wie der von Ludwig v. Klein 1845 beschriebene "Nordamerikanische Güterwagen" und das nach Württemberg gelieferte Vorbild-Güterwagen. Bei aller Ähnlichkeit weisen diese Drehgestelle jedoch deutliche Unterschiede auf, die den experimentellen Charakter dieser Konstruktionen belegen.

Auffällig ist dabei auch, wie sich in einem Zeitraum von etwa zehn Jahren in Amerika bereits die Spezifikation zwischen Güterwagen- und Reisezugwagen-Drehgestellen herausgebildet hat. In diesem Zusammenhang sei nochmals auf die Washington-Wagen der B & O von 1835 hingewiesen, die bereits eine Sekundärfederung besaßen, während die Drehgestelle des von Ghega beschriebenen, etwas später gebauten Wagens lediglich eine Primärfederung hatten.

1843 erklärten Eaton, Gilbert & Cie. in einem Schreiben an M. W. Baldwin unter anderem: "... We make a variety of trucks but the most approved is Williams Patent Iron Truck which are the only kind we can dispose of present. There is a very good and permanent fixture for center bearing which is so hung on a stirrup as to give a side motion or rather take away the effect of the side motion. ..." [3, S. 68]. Die eisernen Williams Patent Trucks hatten also bereits eine Art Wiege!  Mit solchen oder jedenfalls sehr ähnlichen Drehgestellen war auch der Personenwagen ausgerüstet, den Eaton, Gilbert & Cie.1845 für die württembergische Staatsbahn gebaut haben. Diese Drehgestelle verfügen über Achshalter und bestehen bis auf den Kern des Querträgers komplett aus Eisen. Die Sekundärfeder ist in eine Wiege integriert, darüber hinaus besitzt der Wagen sogar eine Tertiärfederung, die das Untergestell seitlich gegenüber den Drehgestellen abfedert.


K.W.St.E. Personenwagen II. Klasse, B 100, gebaut 1845 von Eaton, Gilbert & Cie., New York; Modell 1 : 10, Deutsches Museum München, Foto: Slg. Uwe Siedentop

Dieser Wagen erhielt in den 1860er Jahren Puffer und wurde mit diesen Drehgestellen noch bis 1897 verwendet.
Nach den bislang vorliegenden Informationen ist davon auszugehen, dass bereits die ersten, im April 1845 bei Winkens & Co, Halle/Saale bestellten (Personen-)Wagen mit Doppelblechwangen-Drehgestellen ausgerüstet waren:

Erste Drehgestell-Güterwagen
Auf diesen Seiten geht es vor allem um Güterwagen und deren Drehgestelle, doch dazu liegen für die Anfangszeit leider noch weniger, vor allem aber kaum konkretere Informationen vor. Bei statistischen Angaben wird bestenfalls zwischen offenen und bedeckten achträdrigen Güterwagen unterschieden, in einzelnen, verstreuten Berichten finden sich Hinweise auf Holzwagen und Einsätze solcher Wagen auch vor der Fertigstellung und Eröffnung bei einzelnen Eisenbahnen:
So gibt es Hinweise auf einen 1839 von Talbot gebauten "Schienenwagen" für Langholztransporte [6, S. 39; 7, S. 53], belegt ist auch, dass Talbot für die Rheinische Eisenbahn achträdrige Holz- und Equipagenwagen gebaut hat.


Rheinische Eisenbahn, achträdriger Holzwagen, gebaut bei Pauwels und Talbot (Baujahr nicht bekannt), Aachen; Quelle: Engelhardt [8, S. 40], rechtes Drehgestell halbseitig nachskizziert (Bearbeitung G-D)

Der 1839 von der Rheinischen Eisenbahn mit Pauwels und Talbot geschlossene Vertrag sah die Lieferung von 200 - lediglich zweiachsigen - Wagen vor, sollte der 1839 gebaute "Schienenwagen" auch an die Rheinische Eisenbahn geliefert worden sein, müsste er außerhalb oder durch Abänderung dieses Vertrages entstanden sein. Für den ab 1846 aufgenommenen Transport von Equipagen lieferte Pauwels und Talbot doppelachsige Drehgestelle, zwischen denen eine tiefliegende Transportbühne eingehängt wurde [7, S. 55]. Auch die in der vorstehenden Abbildung erkennbare, provisorisch wirkende Kupplung ohne seitliche Puffer legt die Vermutung nahe, dass es sich bei diesem Wagen um einen Arbeitswagen - und also vielleicht um jenen "Schienenwagen" von 1839 - handeln könnte. Aber diese Mutmaßung lässt sich nicht durch Maßangaben oder gesicherte Fakten erhärten.

Trotz der geringen Qualität der Abbildung erkennt man, dass die Rahmen Drehgestelle analog zu den Rahmen zweiachsiger Wagen gebaut sind: an die Langträger des hölzernen Rahmens sind "doppelte Achshalterplatten" [Klinge in 14, S. 399] geschraubt, die untereinander und gegen die Stirnseiten der Rahmen mit eisernen Stangen abgestützt sind.

Auch die Leipzig Dresdner Eisenbahn (LDE) [11, S. 71] setzten in der Bauphase (achträdrige?) Langholz-Arbeitswagen ein, die anschließend eventeull auch im öffentlichen Verkehr als Holzwagen genutzt worden sein könnten. Weber zeigt in seiner 1862 erschienen "Schule des Eisenbahnwesens" einen Holzwagen, leider ohne Angaben zur Konstruktion, zu den Abmessungen, zum Hersteller und zur Bahn, bei der dieser Wagen eingesetzt war, zu machen. 


Achträdriger Holzwagen, Drehgestelle mit innenliegenden Langträgern, außenliegenden Stehblechen und Ausgleichshebeln; Quelle: Weber [10, S. 236]

Die Anordnung der Puffer erinnert an Zeichnungen der Wagenbauanstalt der Leipzig Dresdner Eisenbahn aus den frühen 1840er Jahren, die Rahmenkonstruktion der Drehgestellen (Holzrahmen mit innenliegenden Langträgern, außenliegenden Achshalter-Stehblechen, Verbindungsstangen zwischen den Achshaltergabeln, mittlerer Federbock mit Ausgleichshebel) ähnelt denen der 1844 in Belgien gebauten. (Ergänzend sei vermerkt, dass die Leipzig Dresdner Eisenbahn 1836 drei Personenwagen bei Pauwels in Belgien bestellt hat [11, S. 42], womit gleichwohl nicht unterstellt werden soll, dass auch der Langholz-Arbeitswagen der LDE von Pauwels gebaut worden ist.)
Mitte der 1840er Jahre kamen die Doppelblechrahmen-Drehgestelle auf, die von verschiedenen Bahnen und Herstellern über längere Zeit genutzt wurden. Es ist davon auszugehen, dass in der Anfangszeit daneben noch andere, bislang nicht bekannte Drehgestellkonstruktionen verwendet wurden.


Zur Bedeutung achträdriger Güterwagen bis Anfang der 1870er Jahre
Lange Zeit ging auch der Verfasser dieser Seiten davon aus, dass Drehgestell-Güterwagen in der Frühzeit nur in Württemberg größere Bedeutung hatten. Aus den (nun auch online vorliegenden) Statistiken des VdEV [12], geht jedoch hervor, dass auch andere Bahnverwaltungen gerade in der Frühzeit über eine nicht unbedeutende Anzahl achträdriger Güterwagen verfügt haben.

Im Jahr 1857 verfügten die VdEV-Bahnen über insgesamt rund 48 000 Güterwagen, unter denen sich etwa 4 100 achträdrige (entsprechend 8,5 %) befanden. Bei der Österreichischen nördlichen Staats-Eisenbahn-Gesellschaft (865 von insgesamt 1926 Güterwagen, entsprechend rund 44 %) lag der Anteil achträdriger Güterwagen sogar geringfügig höher als in Württemberg (276 von 627 Güterwagen), die Österreichische südöstliche Staats-Eisenbahn-Gesellschaft wies sogar einen Bestand von 1 087 achträdrigen (von insgesamt 3892, entsprechend einem Anteil von rund 29 %) Güterwagen aus. Außerdem verfügten noch die Hannoverschen Staatseisenbahnen (359, entsprechend 12,4 %), die Kaiser Ferdinands-Nordbahn (KFNB, 295, entsprechend 5,7 %), die Niederschlesisch Märkische Eisenbahn (244, entsprechend 15 %) und die Mecklenburgische Eisenbahn (87, entsprechend 33,2 %) über eine große Anzahl bzw. einen hohen Anteil an achträdrigen Güterwagen.

Auch wenn die Zahlen nur bedingt vergleichbar sind, ergibt sich für das Jahr 1872 ein deutlich verändertes Bild. Die deutschen und österreichischen Bahnen verfügten nun über insgesamt knapp 210 000 Güterwagen - darunter befanden sich jedoch nur noch rund 2700 achträdrige (entsprechend 1,3 %). Fast die Hälfte dieses Bestandes gehörte der Österreichischen Staats-Eisenbahn-Gesellschaft (1284, überwiegend offene), mehr als 100 achträdrige Güterwagen hatten sonst nun nur noch Württemberg (370), die Kaiser Ferdinands-Nordbahn (KFNB, 304) und Hannover (105) im Bestand. Setzt man diese Werte in Verhältnis zum Gesamtbestand an Güterwagen, ergibt sich folgende Situation: Bei der Österreichische Staats-Eisenbahn-Gesellschaft stellten die achträdrigen Wagen noch immer einen Anteil von über 11 %, in Württemberg und Mecklenburg (Friedrich-Franz-Eisenbahn) lag deren Anteil noch über 10 %, bei der Kaiser Ferdinands-Nordbahn betrug deren Anteil 3,8 % und in Hannover (immer noch überdurchschnittliche) 1,6 %.

Die achträdrigen (vierachsigen/Drehgestell-) Güterwagen haben also bis 1872 gegenüber den vierrädrigen (zweiachsigen) Wagen haben erheblich an Bedeutung verloren. Die Gründe dafür liegen nicht nur im Aufkommen einer kontinentaleuropäischen Eisenbahnindustrie, der damit verbundenen Entwicklung eigener Fachkompetenz, die weitere geistige "Anleihen" in Nordamerika, wo sowieso andere Verhältnisse gegeben waren, überflüssig wurden, sondern vielmehr in der - aus heutiger Sicht seltsam anmutenden - Kritik, in die die achträdrigen Wagen gerieten:
1852 stellte Max Maria v. Weber, Eisenbahningenieur und sächsischer Finanzrat, bei seinen statistischen Erhebungen über Achsbrüche eine signifikante Häufung von Achsbrüchen bei achträdrigen Güterwagen fest [9, Weber, S. 140] und kam so zum Ergebnis, "dass in Bezug auf Sicherheit vor der Anwendung achträdriger Wagen nicht genug zu warnen ist."
Im September 1865 fand in Dresden (unter nicht unmaßgeblicher Beteiligung von Webers) nach 1850 und 1857 die dritte Techniker Versammlung des VdEV statt. Unter anderem wurde dort die Frage beraten, wodurch die als gefährlich erachteten Rangierbewegungen von Güterzügen reduziert werden können.
Dazu hatten verschiedene Bahnverwaltungen Antworten abgegeben, unter anderen sprach sich die Berlin-Stettiner Eisenbahn für das "Drehscheibensystem anstatt der Weichen und vierrädrige Wagen" aus und die Sächsisch. Östliche Staatsbahn, die befand: "Die Wurzel des Übels liegt in der Ausdehnung der deutschen Bahnhöfe, die wieder in der von Braunschweig 1842 ausgegangenen Konstruktion langer Betriebsmittel begründet ist, wodurch sich die ausgedehnte Anwendung von Drehscheiben und Schiebebühnen verbietet" [13, Organ, 1. Suppl.; S 207 und S. 206]. Als Ergebnis wurde schließlich das Drehscheibensystem empfohlen und zu dessen Umsetzung auf die Beschaffung sechs- und achträdriger Güterwagen künftig zu verzichten sowie die sukzessive Ausmusterung der vorhandenen gefordert.
Die technischen Vereinbarungen des VdEV wurden in Folge dahingehend verändert, dass für Güterwagen ein maximaler Radstand von 3,06 m (13 Fuß) festgelegt wurde, von dem nur bei Wagen "für die Verladung specieller Güter" abgewichen werden sollte. [13, Organ, 1. Suppl., S. 8].

Diese "Drehscheiben-Resolution" hatte weitreichende Folgen: Drehgestell-Güterwagen galten ab 1865 für etliche Zeit in Bereich des VdEV praktisch als Auslaufmodell. Erst nach dem im deutsch-französischen Krieg 1870/71 auch das Militär die Bedeutung der Eisenbahn erkannt hatte, begannen einige Bahnen (Reichseisenbahnen Elsass-Lothringen, Pfalzbahn) in den 1870er Jahren zögerlich mit der Beschaffung vierachsiger Plattformwagen, die als Spezialwagen in den Wagenpark eingestellt wurden.   Ebenfalls als Spezialwagen galten die ab 1883 von der KPEV beschafften Schienenwagen (SSm) nach Blatt IIc9 sowie die 1892 beschafften  
vierachsigen offenen Güter-/Kohlewagen (OOmk).   Es sollte rund hundert Jahre dauern, bis der Anteil der Drehgestell-Güterwagen in Westdeutschland wieder einen Wert wie etwa in 1857 erreichte.


Quellen:
[1] Borchert, Fritz (Hrsg.): Die Leipzig-Dresdner Eisenbahn. Anfänge und Gegenwart einer 150jährigen. Berlin 1989
[2] White, John H. jr.: The American Railroad Freight Car. From the Wood Car Era to the Comming of Steel. John Hopkins University Press. Baltimore 1993
[3] White, John H. jr.: The American Railroad Passenger Car. Part 1. John Hopkins University Press. Baltimore 1985
[4] Ghega, Karl von: Die Baltimore-Ohio-Eisenbahn über das Alleghany-Gebirg mit besonderer Berücksichtigung der Steigungs- und Krümmungsverhältnisse. Bd. 1: Textband. Wien: Kaulfuss Witwe, Prandel & Comp. 1844. (ETH-Bibliothek Zürich, Rar 4595: TEX, http://dx.doi.org/10.3931/e-rara-20134 / Public Domain Mark)
[5] Ghega, Karl von: Die Baltimore-Ohio-Eisenbahn über das Alleghany-Gebirg mit besonderer Berücksichtigung der Steigungs- und Krümmungsverhältnisse. Bd. 2: Atlas von 19 Zeichnungs-Tafeln. Wien: Kaulfuss Witwe, Prandel & Comp. 1844.
*
[6] DB Ausbesserungswerk Saarbrücken-Burbach: 75 Jahre Ausbesserungswerk Saarbrücken-Burbach 1906 - 1981. o. O., o. J.
[7] Krohn, Heinrich: ... auf der Schiene. Die Geschichte der Reisezug- und Güterwagen. 150 Jahre Talbot. München 1988
[8] Engelhardt, Viktor: Waggonfabrik Talbot Aachen: Eine Festschrift zur Hundertjahrfeier 1938. Berlin, 1938

[9] Weber, Max Maria von: Die Technik des Eisenbahnbetriebes in Bezug auf die Sicherheit desselben. Leipzig 1854.
[10] Weber, Max Maria von: Die Schule des Eisenbahnwesens. Leipzig, 1862
*
[11] Leipzig - Dresdner Eisenbahn Directorium (Hrsg.): Die Leipzig - Dresdner Eisenbahn in den ersten fünfundzwanzig Jahren ihres Bestehens. Herausgegeben auf Veranlassung des Directoriums. Leipzig, 1864 *
[12] Verein deutscher Eisenbahn-Verwaltungen (VdEV): Deutsche Eisenbahn-Statistik, 8. (1857) und 23. (1872) Jahrgang *
[13] Heusinger von Waldegg, Edmund (Hrsg.): Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens in technischer Beziehung. 1. Supplementband. Wiesbaden, 1866 *
[14] Heusinger von Waldegg, Edmund: Handbuch für specielle Eisenbahn-Technik. Zweiter Band. Der Eisenbahnwagenbau in seinem ganzen Umfange. (Textband). Leipzig 1870 *

- Wikipedia (u. a. für die "historischen Rahmendaten")
- Röder, Rudolf: Carl von Etzel und Ludwig von Klein. Württembergs Eisenbahnpioniere und ihr Wirken in aller Welt. Heidenheim 2016
- Siedentop, Uwe: Persönliche Informationen

*) auch online verfügbar: BSB München, (https://opacplus.bsb-muenchen.de/metaopac) oder Google


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